Rolle vorwärts
Helge Warta und sein Team haben einer Idee zum Durchbruch verholfen. Weil der Erfolg der Lackfolie viele Gesichter hat, baten wir stellvertretend sieben Mitarbeiter vor die Kamera.
Oft erweisen sich vermeintlich einfache Ideen als genial. Die Idee „Kleben statt Sprühen“ etwa hat sich in den letzten elf Jahren zum Erfolgsmodell entwickelt. „Die Technik boomt“, strahlt Business Unit Leiter Helge Warta. Schließlich haben er und sein Team die Folie mit den besonderen Eigenschaften auf den Weg gebracht.
Der Ansatz: revolutionär. Das Verfahren: hundert Prozent Wörwag. Lack als Bahnware, aufgewickelt auf einer Rolle. Eine Methode, die Material und Energie spart. So können glattflächige Kunststoffteile in einem Schritt hergestellt und laminiert werden. Das separate Lackieren entfällt. Weitere Vorteile gegenüber Nasslack: kein Overspray, kürzeste Trockenzeit. Überdies ist die Folie wetter- und kratzfest. Eigenschaften, auf die unter anderem die Automobilindustrie und Fensterhersteller Wert legen.
Start war Beschichtung von Fahrzeugdachmodulen
Wörwags Dekorlackfolie zum Kaschieren von Kunststofffensterrahmen besteht aus einer Polypropylen-Trägerfolie, einem Basislack der gewünschten Farbe sowie UV-Klarlack als Schutzschicht. Der Klarlack vernetzt schlagartig, ist hochflexibel und lässt sich durch Prägen strukturieren. Im Automobilbau kommt Lackfolie auf Dachleisten und Wasserabweisern zum Einsatz. Diese Variante besteht aus einer eingefärbten, thermoaktiven Haftschicht, die ebenfalls ein UV-Klarlack schützt.
Den Anstoß zur Entwicklung des Lacks von der Rolle gab 2001 die Diplomarbeit von Helge Wartas Frau Terry. Die heute 39-Jährige schrieb darin über thermoformbaren Klarlack für Folien. Mit ihren Kollegen aus dem Labor, darunter Sibylle Holzmann, die noch im Team ist, brachte sie den Klarlack zur Serienreife.
Das in Wartas Abschlussarbeit beschriebene Verfahren erschloss dem Unternehmen ein neues Geschäftsfeld. Ein fünfköpfiges Team nahm sich des Themas an, baute mehrere Pilotanlagen. 2005 stellte Wörwag die ersten Folien zur Beschichtung von Fahrzeugdachmodulen her. Zu den Pionieren jener Tage gehörten Manuel Wittke und Peter Färber.
Startup im Konzern
Als Kunststoffingenieur kennt sich Wittke mit dem Thermoformen aus. Ihm unterstand die Beschichtungsanlage auf dem Werksgelände der Firma Decoma. Chemieingenieur Färber übernahm die Umsetzung des kompletten Daimler-Farbfächers. Neben der Basislackentwicklung leitet er heute die Prozesstechnik, verantwortet Bau und Betrieb aller Anlagen.
„Das war schon eine spannende Zeit“, erinnert sich Helge Warta. „Wir sind wie ein Startup mit Euphorie an die Sache herangegangen.“ Die Geschäftsleitung ließ den Innovatoren freie Hand. 2007 gründeten sie in Zuffenhausen die Abteilung Folientechnik mit dem Ziel, das neue Produkt auf eigenen Anlagen zu fertigen. Diese planten und bauten sie selbst, gearbeitet wurde im Vierschichtbetrieb – damals ebenfalls eine Wörwag-Premiere. Wichtigster Erfolgsfaktor: Teamgeist. „So ein Vorhaben kriegst du nur gestemmt, wenn alle an einem Strang ziehen“, weiß Warta. Wohlfühlen gehört für den Abteilungsleiter ebenfalls zur Arbeit. „Wir hatten als eine der ersten Abteilungen eine vollautomatische Kaffeemaschine“, lächelt er.
Warta lebt seinen Job. Der 50 Jahre alte Chemieingenieur ist mit und bei Wörwag aufgewachsen. Sein Vater leitete das Labor zur Entwicklung von Fassadenfarben. Die Abteilung gibt es längst nicht mehr. Schon als Kind begleitete ihn der Sohn regelmäßig in die Firma. Mit vier Jahren bekam Warta junior ein Lacklabor im Miniaturformat geschenkt. „Seither war klar, wohin die Reise geht.“ Als Schüler jobbte er bei Wörwag, es folgten eine Ausbildung zum Lacklaboranten und ein Chemiestudium. Nach Stationen in anderen Unternehmen kehrte Warta 2001 „heim zu Wörwag“. Übrigens wurden er und seine spätere Ehefrau zur selben Zeit eingestellt. Ihre Personalnummern unterscheiden sich nur um eine Ziffer.
100 Fussballfelder Jahresproduktion
Wie alle technischen Neuerungen hatte die Lackfolie mit Kinderkrankheiten zu kämpfen. Auch war der eine oder andere Skeptiker zu überzeugen. Doch das hat das Team umso fester zusammengeschweißt. Neue Kollegen wurden mit offenen Armen empfangen.
„Es ist äußerst interessant, an der Lackfolie mitzuwirken. Und das Team ist klasse!“, schwärmt Basislackentwickler Heiko Veth. Auf ihn fiel die Wahl, die Abteilung beim Fotoshooting zu vertreten, ebenso auf Produktmanager Stefan Bänsch und Maschinenbedienerin Petra Gerull. Zusammen mit den vier „alten Hasen“ sieben Gesichter, die für den technischen Fortschritt stehen.
Mittlerweile zählt die Abteilung 27 Mitarbeiter. Penibel sauber wird in drei Arbeitsschichten produziert. Zuschnitt und Lager befinden sich im knapp fünf Kilometer entfernten Korntal-Münchingen. Mit einer Jahresproduktion ließen sich gut und gerne hundert Fußballfelder bedecken. Obendrein heimst das Ökowunder Preise ein, zuletzt 2016 im Rahmen des vom baden-württembergischen Umweltministerium geförderten Projekts „100 Betriebe für Ressourceneffizienz“. Auf der Woche der Umwelt in Berlin beeindruckte die Lackfolie im selben Jahr sogar den damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck.
„Jetzt wagen wir den nächsten Schritt“, sagt Warta. Das Lackfolienteam schickt sich an, seine Serienprodukte weltweit zu vermarkten. Darüber hinaus entwickelt es neue Anwendungen wie einen Transferbasislack oder hochleitfähige selbstklebende Folie. Das „Rollenspiel“ geht weiter.