Gelbfieber
So mutig wie Wörwag war sonst niemand. Volkswagen wollte einen Eyecatcher. Und bekam Limonengelb. Einen Farbton mit Ausstrahlung. Erstmals hatte Wörwag für VW einen Karosseriefarbton entwickelt. Der avancierte zur offiziellen Kommunikationsfarbe der neuen Golf-Generation. Ein Unternehmen im Gelbfieber.
Das Moodboard zeigt einen Designerstuhl, Farbkleckse, hochhackige Schuhe. Alle Motive sind in Gelbtöne getaucht. Von Grün- bis Rotgelb reicht die Skala. Die Collage inspiriert Wörwags Entwickler zu einem neuen Farbton. Satt und brillant soll er sein. Ein Uniton, ein Blickfang, eine Farbe, die es so noch nicht gibt.
Ein Fall für Nicole Hörner, die den Auftrag mit wenigen Klicks wieder auf den Bildschirm zaubert. Wie vor fast sechs Jahren. So lange ist es her, dass sich die heutige Leiterin des Labors für Design, Pigmente und Pasten an die Arbeit machte. Der Kunde Volkswagen hatte dazu das Leitwort „Yellowation“ ausgegeben, das niemand so mutig und extravagant interpretierte wie Wörwag. Das Ergebnis heißt Limonengelb. Gerade in Wolfsburg, wo man sonst eher gedeckte Farben favorisiert, ein Novum.
Gelb ist Trendfarbe, jeder möchte eines im Angebot haben. Aber so ein Gelb macht kaum jemand. Das sticht heraus.
Ende 2019 wurde die achte Generation des VW Golf vorgestellt. Nicht nur seine Konstrukteure sehen Gelb. Limonengelb ist die offizielle Werbefarbe des Dauerbrenners. In jedem Prospekt, auf allen Plakaten, in Werbevideos, auf Messeständen und Pressefahrzeugen wird der Lack von Wörwag strahlen. Seine Entwickler ebenfalls: „Auch wenn ich den Farbton schon so oft gesehen habe, finde ich ihn immer noch toll“, bekennt Hörner. „Jetzt bin ich gespannt, wie er auf dem fertigen Fahrzeug wirkt.“
Christian Bischoff teilt die Vorfreude. Als Head of Sales Management OEM/VW Group hat er das Projekt vor gut fünf Jahren eingefädelt. Jetzt stimmt er unter anderem die Entwicklung und Produktion bei Wörwag mit Wolfsburg ab. Auch er kann kaum erwarten, den Golf in der Signalfarbe auf der Straße zu sehen. Das Limonengelb hat einen langen Weg hinter sich. Es steht als Paradebeispiel dafür, wie Wörwag einen Lack mit dem Kunden partnerschaftlich zur Serienreife führt.
Für Wörwag ist der Karosserielack für den Golf VIII ein Leuchtturmprojekt, das auch intern intensiv diskutiert wurde. Zumal der Fokus zuvor auf der Beschichtung von Anbauteilen aus Kunststoff lag. Bischoff: „Das Projekt ist ein Einstieg, um VW mit weiteren Karosserielacken zu beliefern. Die Lackieranlage in Wolfsburg hat eine große Strahlkraft.“ Entsprechend hoch sind die Anforderungen. Gefragt war nicht nur ein besonderes Gelb, sondern auch die Einhaltung des sogenannten „Quattro-Designs“. Das heißt, die Farbe muss weltweit in fünfzig Lackierereien und vier Systemen sowohl auf Wasserbasis wie mit organischen Lösemitteln funktionieren.
Auf den Pigmentanteil kommt es an
Und Wörwags Engagement wurde belohnt. Neben Limonengelb setzt VW künftig auch auf Schwarz und Silber-Glossy. So erhält das E-Auto aus der ID-Serie ein Dach in Schwarz Hochglanz mit edler Piano-Optik. Von 2020 sind die C-Säulen und Dachleisten mit dem ebenfalls von Wörwag designten Farbton Silber-Glossy beschichtet – erstmals kommt dabei die mehrfach mit Umweltauszeichnungen prämierte Lackfolie beim ID.3 zum Einsatz.
Als Flüssiglack wird er zudem für die Lackierung der Spiegelschalen und die Einleger auf den Seiten eingesetzt. Nicht zu vergessen, der Klarlack für Heckspoiler und Heckklappen kommt beim ID.3 ebenfalls aus Stuttgart.
20 Varianten zur Auswahl
Limonengelb hat wie erhofft viele Türen geöffnet. Ein Rückblick: Die technische Umsetzung hat Hörner schon 2014 im Blick. Es ist in der Abteilung ihr erstes Großprojekt. Als Grundlage dient ein seit langem bewährtes Lacksystem. Fünf bis sechs Buntpigmente verleihen dem neuen Farbton die gewünschte Intensität. Am Ende tendiert Limonengelb in Richtung Grün. Im Labor wiegt Hörner die Zutaten ab. mischt zwanzig Varianten. Musterplatten werden lackiert und danach unter die Lupe genommen. Hörner: „Es bringt nichts, wenn sich unser wunderschönes Gelb später beim Kunden nicht einsetzen lässt.“
Der Gelblack gibt sich anfangs kapriziös. Auf den sogenannten Wolkenblechen setzen sich immer wieder Flecken ab. Jeder Versuch kostet ein halbes Kilo Farbe. Um die Flecken zu vermeiden, kommt es darauf an, das Deckvermögen richtig einzustellen. „Es ist ein Balanceakt: Wie hoch muss und darf der Pigmentanteil sein, damit die Farbe möglichst gut deckt, ohne fleckig zu werden?“, nennt Hörner den Knackpunkt.
Erster Etappensieg
Am Ende präsentiert Wörwag in Wolfsburg sechs Gelbvarianten. Bischoff erinnert sich genau. Auf dem Tisch liegen 900 Farbtafeln von sechs Herstellern und werden von VW-Experten begutachtet. Am Limonengelb kommt niemand vorbei: „Ich glaube, jeder hat die Tafel in die Hand genommen. Die Farbe fiel auf.“ Erster Etappensieg!
Weitere folgen: Zum GTI-Treffen am Wörthersee montieren VW-Azubis 2015 einen Golf in Limonengelb als Sonderlack. Die Fans jubeln. Zwei Jahre später zeigt der Konzern den markanten Farbton im Genfer Autosalon auf einem Golf R. Danach steht fest: Dieses Gelb geht in Serie.
Mikrometer-Arbeit
Seither sind Bischoff und sein Team in Wolfsburg Dauergäste. Die Unterstützung zahlt sich aus. Die Vorserienfahrzeuge laufen erfolgreich vom Band. Immer wieder sind Änderungen zu meistern. So wünschte VW während der Entwicklung des Gelbtons die Füllerfarbe Dunkelgrau anstatt Altweiß. Das überstieg die Deckkraft der Urversion des Basislacks. „Wir standen regelmäßig mit dem Kunden an der Lackieranlage“, erinnert sich Bischoff. „Limonengelb ist in der Applikation heikel.
Es gibt da viele Parameter, die man optimal einstellen muss. Ist zum Beispiel die Lackschicht nur geringfügig zu dick, wird der Farbton zu gelb. Deshalb muss man den Auftrag an jeder Stelle exakt einstellen.“ Aber Bischoff beruhigt: „Das haben wir alles hinbekommen – mit einem starken Team.“
Dieser Artikel erschien erstmalig im Wörwag Kundenmagazin „finish“ im Jahr 2019.