In einer Schicht
Sieht aus wie Decklack, funktioniert aber wie Grundierung: Die Hamm AG hat gemeinsam mit der Karl Wörwag Lack- und Farbenfabrik einen innovativen Einschichtlack für die Bandagen von Walzen entwickelt, der dem Hersteller von Straßenbaumaschinen aus Tirschenreuth hilft, die Kapazitäten deutlich zu erhöhen, die Prozesse zu optimieren und die Qualität zu steigern.
Die Welt ist flach. Zumindest in Tirschenreuth. In dem beschaulichen 9.000-Einwohner-Städtchen in der Oberpfalz, knapp 15 Kilometer von der deutsch-tschechischen Grenze entfernt, stellt die Hamm AG Maschinen her, die vieles plattmachen, optimal verdichten und zu unverzichtbaren Helfern selbst bei härtesten Baustellenbedingungen geworden sind. Beim ältesten Hersteller von Straßenbaumaschinen geht es im wahrsten Sinne des Wortes seit mehr als 140 Jahren rund.
Dieser Lack und seine gemeinsame Entwicklung sind eine Erfolgsgeschichte.
Jede fünfte Straßenwalze weltweit kommt inzwischen von Hamm. Und die Nachfrage steigt. Das sieht jeder Besucher, der bei der Anfahrt im Industriegebiet Wagnerholz in die Hammstraße biegt. Walzen, Bandagen – Bauhelfer in sattem Unternehmens-Orange fast soweit das Auge reicht. In den vergangenen 15 Jahren haben sich die Stückzahlen verfünffacht. Die weitere Steigerung ist für das Unternehmen ein wichtiger Wettbewerbsfaktor, allerdings an den Ausbau der Produktionskapazitäten gebunden. Um mehr Maschinen bauen zu können, ist Einfallsreichtum in der Montage gefragt. Und Mut. Daher hat Hamm mit dem Neubau einer Lackieranlage und einem damit verbundenen effizienten Lackierprozess einen Weg eingeschlagen, den bisher keiner wagte.
Zusammen mit Wörwag hat Hamm eine innovative Einschichtlackierung für die Bandagen entwickelt, die es so noch nicht gab. „Auf dieses Projekt können wir alle stolz sein“, sagt Günter Kolberg, Leiter Montage. „Dieser Lack und die gemeinsame Entwicklung, die dahintersteckt, sind eine Erfolgsgeschichte.“ Die Rezeptur zu entwickeln, sei das eine. Aber den Feinschliff, den Prozess in die Serie zu bringen, das andere. Kolberg: „Das schafft man nur mit einem starken Partner wie Wörwag.“
„Wir brauchen ein ganz neues Konzept“
Die Ausgangslage im Sommer 2016 ist knifflig. Kolberg erinnert sich noch genau an die Planungsphase. Immer wieder werden die gewünschten Stückzahlen mit dem benötigten Platz im Bandagenwerk in Relation gesetzt. Die Sorgenfalten werden größer. Auf 22.000 Bandagen pro Jahr sollen die Stückzahlen steigen. Inklusive Anbauteile planen die Verantwortlichen mit 700 bis 800 Lackiervorgängen in der Woche. Der Lackierprozess wird schnell zum limitierenden Faktor und spielt daher von Beginn an eine entscheidende Rolle.
Zu dieser Zeit wird noch konventionell mit zwei Lackschichten (Grundierung und Decklack) beschichtet. Die zwei Trocknungsvorgänge kosten Zeit, Energie und beeinflussen die Prozesse. Noch wird nicht im Mix von Groß- und Kleinbandagen lackiert. Am Ende ist die Lösung einfach: Je mehr Walzen, desto größer muss die Lackieranlage werden. Eigentlich. Denn die Rechnung geht nicht auf. Im neuen, um 3.600 Quadratmeter erweiterten Bandagenwerk, ist Platz für eine 45 Meter lange, knapp 20 Meter breite Lackierkabine samt Trocknungskammern. Mehr nicht. Eigentlich müsste sie aber doppelt so groß sein.
„Uns ist schnell klar: wir brauchen ein ganz neues Konzept – und die Hilfe von Wörwag“, erinnert sich Kolberg, der seit zwölf Jahren mit den Lackexperten aus Stuttgart erfolgreich zusammenarbeitet. „Ich wusste, dass wir das Problem gemeinsam lösen können. Denn Wörwag will nicht nur Lack verkaufen, sondern kann uns helfen.“
Ein Lackauftrag, mehr als 80 % Festkörperanteil
Die Lösung ist innovativ. Für die gerollte Lackierung von Kleinbandagen kommt bereits ein Einschichtaufbau von Wörwag zum Einsatz. Warum soll das nicht auch im automatisierten Prozess für alle Produkte funktionieren? Der Ehrgeiz ist geweckt – im Labor bei Wörwag und in der Produktionsplanung bei Hamm. Uwe Block, seit vielen Jahren als Anwendungstechniker von Wörwag bei Hamm, ist alle vier bis sechs Wochen in Tirschenreuth. „Der Schlüssel zum gemeinsamen Erfolg war, dass wir mit Hamm einen Zielkunden mit konkreten Anforderungen hatten.
Da wir frühzeitig in die Entwicklung eingebunden waren, konnte die Anlage optimal auf die Bedürfnisse des Kunden und des Lackmaterials angepasst werden“, sagt Block. Sein Pendant bei Hamm ist Jürgen Dötsch. „Die Anforderungen waren nicht ohne. Mit einem einzigen Lackauftrag zum Beispiel einen Festkörperanteil von mehr als 80 Prozent zu erreichen, ist ambitioniert. Um das zu schaffen, muss man eng zusammenarbeiten. So eine Partnerschaft findet man nicht überall“, betont der Experte aus der Arbeitsvorbereitung bei Hamm.
Erfolgsformel Direct-to-Metal
Beide Seiten investieren viel Herzblut in die Innovation. Wenn es Probleme gibt, werden die Köpfe zusammengesteckt. Vor allem der Übertrag von der Entwicklung auf die Serie birgt regelmäßig Überraschungen. Ein neuer Bandagentyp, eine andere Programmierung, geänderte Überlappungen beim Lackierprozess, neue Schweißnähte oder das Standvermögen – es gibt viele Themen, die in der Praxis besprochen werden müssen. „Großes Lob an Wörwag. Sie haben sehr schnell reagiert und alle Hebel in Bewegung gesetzt, so dass wir immer lackieren konnten“, sagt Dötsch. Das Vertrauen in Wörwag ist riesengroß. Denn schon bald gibt es keinen Weg zurück. Hamm entschließt sich im Rahmen der Erweiterungsmaßnahmen dazu, die alte Lackieranlage abzubauen, bevor die neue steht.
Das Ergebnis überzeugt alle. Im September 2018 wird die Lackieranlage in Betrieb genommen. 50 bis 60 Straßenwalzen verlasen inzwischen pro Tag die Produktion. Das Konzept mit der Einschichtlackierung Direct-to-Metal (DTM) hat sich praktisch vom ersten Tag an bewährt. Das unterstreichen Zahlen und Fakten. Die Durchlaufzeiten sind heute durch den Wegfall eines Prozessschritts und der damit verbundenen Trocknung rund ein Drittel kürzer. Die neue Lackieranlage ist optimal in den schlanken und effizienten Produktionsablauf von Hamm integriert.
1000 Stunden Spritzwassertest
Die Bandagen werden unabhängig von der Größe auf der einen Seite in die Kabine gefahren, vollautomatisiert gewaschen, dann lackiert und anschließend bei 85 Grad Celsius für rund 40 Minuten getrocknet. Danach fahren die Bandagen auf der anderen Seite aus der Anlage und sind bereit für die Endmontage. Parallel dazu können Antriebe und Anbauteile in einer Handlackierkabine bearbeitet werden. Alle in strahlendem Schiefergrau, RAL-Farbton 7015. Eine Lackierung in einem Zug.
„Ich hatte immer Bedenken, ob ein Einschichtsystem die gleichen Korrosionsschutzeigenschaften ermöglicht wie ein Zweischichtmaterial mit Grundierung“, erinnert sich Sven Pechwitz, Leiter Geschäftsbereich Industrie bei Wörwag. „Aber als ich die ersten Bleche gesehen haben: Wow, mit dieser Qualität hatte ich nicht gerechnet.“ So bestehen die lackierten Bandagen den Salzsprühtest nach 1.000 Stunden und den Schwitzwassertest nach 560 Stunden mit sehr gut. Ein weiterer positiver Effekt der DTM-Lackierung: Trotz Anstieg der Produktion und der damit verbundenen größeren Zahl an Lackiervorgängen überschreitet der VOC-Anteil nicht den für das Werk Tirschenreuth kritischen Wert von 15.000 Kilogramm Lösemittel pro Jahr. Wäre das passiert, hätte Hamm eine kostspielige Thermische Nachverbrennungsanlage benötigt. Und das alles, weil künftig eine Schicht bei der Lackierung reicht. Hamm ist bestens gerüstet für den Wettbewerb mit harten Bandagen.