Nanostrukturen und Licht verleihen Schmetterlingsflügeln einen schimmernden Glanz.

Nanostrukturen ermöglichen neue Effekte

Die Natur wird zum Vorbild für Farbdesign.

Am 11. Mai 2021

Ein flatterhaftes Vorbild

Fahrzeuglack hat mit einem Schmetterlingsflügel nichts gemein – auf den ersten Blick. Die Entwickler bei Wörwag wissen es besser. Wie Nanostrukturen neue Effekte möglich machen.

Der orangefarbene Lack des Sportwagens, den sein Besitzer am Wörwag-Firmensitz in Zuffenhausen in der prallen Sonne abgestellt hat, leuchtet und glänzt. Je nach Perspektive wirkt die Farbe auf den Betrachter mal rötlich, mal eher gelb. Der Farbeindruck hängt vom Winkel ab, in dem die Sonnenstrahlen auf den Wagen fallen. So wie in der Natur. Denn es ist dasselbe Prinzip wie bei den Strukturfarben der Schmetterlinge.

Für die Industrie ist die Natur wie ein gigantisches Testlabor. Im Laufe vieler Jahrtausende haben sich Flora und Fauna ihrem jeweiligen Lebensraum optimal angepasst und so ihren Fortbestand gesichert. Dass sich Forscher und Techniker die Lösungen der Biologie genau anschauen, wenn es um komplexe technische Aufgaben geht, liegt nahe. Als Farben- und Lackhersteller kann Wörwag von der Natur viel lernen. Schon in der Pflanzen- und Tierwelt haben Farben Signalcharakter, sie ziehen an, schrecken ab und wirken je nach Oberfläche und Lichtbrechung anders.

Seit den sechziger Jahren forschen Wissenschaftler an der Schnittstelle zwischen Biologie und Technik: Die Bionik ist somit eine vergleichsweise junge Disziplin. Bionikern geht es weniger darum, die Natur nachzubauen, als von ihr zu lernen und daraus Schlüsse zu ziehen. Wie bei den Flügeln des Schmetterlings werden auch die Farbeffekte des Fahrzeuglacks durch Nanostrukturen hervorgerufen.

Nano bedeutet winzig. Die Schichtdicke solcher Strukturen liegt bei einem Zehntelmikrometer. Ein Mikrometer entspricht 0,001 Millimetern.

Oberflächenstruktur des Wörwag-Lackes in Nahaufnahme

Fischsilber stand am Anfang

Bei Fahrzeugen besteht der Lack aus bis zu vier Schichten. Farbgebend ist der Basislack. Denn diese Lackschicht enthält die Farbpigmente und den Glimmer, der zum Perlglanzeffekt beiträgt. Natürlicher Glanz und Schimmer faszinieren die Menschen seit jeher. Als ältestes Perlglanzpigment gilt das sogenannte Fischsilber, das ab dem 17. Jahrhundert aus den Schuppen der Weißfische, einer Karpfenart, gewonnen wurde. Im Wasser wurden die Schuppen so lange zerrieben, bis sich der schimmernde Belag absetzte. Der Aufwand war beträchtlich: Man brauchte hundert Tonnen Fisch, um zwei Kilogramm Fischsilber zu gewinnen. Es begann die Suche nach einer effizienteren Herstellungsweise.

Heute wird ein besonderer Rohstoff eingesetzt, um einen Perlglanzeffekt zu erzeugen. Der Glimmer, den Wörwag verwendet, kommt aus Indien. Das Mineral wird abgebaut, gereinigt, zerkleinert und mit einem Metalloxid, dem Titandioxid, beschichtet. Wie der Glimmer ist auch das Titandioxid transparent. Ein Teil des Lichts durchdringt die äußere Titandioxidschicht, der Rest wird reflektiert. Der Teil des Lichts, der eindringt, bricht sich an der Grenzschicht zum Glimmer.

Die Lichtwellen überlagern sich und verstärken oder schwächen einander dadurch ab. Dieses Phänomen, Interferenz genannt, führt wie beim Schmetterlingsflügel zum Schillern. Beim Lack spricht man auch vom Farbflop-Effekt. Ob das Licht an der Grenzschicht zwischen Glimmer und Titandioxid zurückstrahlt oder ungebrochen hindurchgeht, hängt vom Winkel ab, in dem es auf die Fläche fällt. Ist die Titandioxidschicht dünn, entsteht ein Silberweiß. Bei höherer Schichtdicke ergeben sich dunklere Interferenzfarben. Vom matten Perlmuttschimmer bis zum vollen Spektrum der Regenbogenfarben ist alles machbar.

 

Lack mit Farbflop-Effekt

Eine Struktur, die wie beim Schmetterling aus Schüppchen besteht und an Dachziegel erinnert, gibt es beim Fahrzeuglack zwar nicht. Das Prinzip der Absorption und Reflexion der Lichtwellen ist aber dasselbe. Dass Entwickler bei Wörwag die Farbspiele der Natur besonders aufmerksam betrachten, versteht sich von selbst. Ob im Schmetterlingshaus oder im Urlaub in Mittelamerika. Die Vielfalt der Schmetterlinge ist beeindruckend. Ganz so bunt, wie es die Natur mit Farben und Schillereffekt treibt, würde es Wörwag beim Fahrzeuglack aber nicht halten. Beim Auto ist der Farbflop zwar erwünscht, aber in Maßen. Schließlich muss ein Fahrzeug auch in zehn Jahren noch gefallen.

 

Der Artikel erschien erstmalig im Wörwag-Kundenmagazin „finish“ im Jahr 2013.