Baumgärtel, Fritz, Tragor und Klein (von links) nehmen schwarzlackierte Pkw-Anbauteile aus Kunststoff unter die Lupe.

Die Schwarzseher

Am 23. April 2021

Kann man Schwarz lieben? In Kunst, Mode, Design und am Auto ist die unbunte Farbe jedenfalls ein Dauerbrenner. Dass schwarzer Lack nicht gleich Schwarz ist, wissen die Experten von Wörwag. Denn hinter den Lacken steckt nicht selten ein Schuss schwarze Magie.

Schwarze Hose, schwarzes Hemd. Beim Vorgespräch hatte sich Falk Tragor passend zum Thema angezogen. „Ausnahmsweise“, sagt der Technical Director Industrial Coatings. Ottfried Klein, zuständig für Decklacke für Transportfahrzeuge, empfiehlt dazu als Kontrast eine gelbe Krawatte. Ramona Baumgärtel, Leiterin des Entwicklungslabors für Decklacke, trägt als Lieblingsfarbe bei der Kleidung gerne Schwarz. Und Wolfgang Fritz aus der Produktentwicklung erklärt, warum er Schwarz gar nicht mag: „Ich hatte mal ein schwarzes E-Bike und bin damit gestürzt.“ Vier Schwarzexperten, vier Meinungen. Die Vier wissen: Die Farbe ist immer Trend. Aber schwarzer Lack ist nicht gleich Schwarz, sondern so facettenreich wie Modetipps.

Alles beginnt mit Ruß. Anders gesagt: Carbon Black. Das schwarze Pulver wird industriell hergestellt und gehört zu den fünfzig Chemikalien mit den weltweit höchsten Produktionsmengen. Gut acht Megatonnen (1 Megatonne = 1 Million Tonnen) werden pro Jahr durch Verbrennung von Ölen oder Gasen erzeugt, davon landen achtzig Prozent in der Fabrikation von Gummireifen. Ein kleiner Teil dient als Pigment zur Herstellung schwarzer Lacke und Farbe. Die Rußpartikel haben eine Größe von 10 bis 300 Nanometer, weniger als ein Tausendstel des Durchmessers eines Haars. Darum muss, wer in den Ruß greift, lange schrubben, bis die Hände wieder sauber sind.

Das dunkelste Schwarz 

Wie wir eine Farbe sehen, hängt unter anderem von der Oberfläche ab. Aber Schwarz hat als unbunte Farbe eine Sonderrolle, wie der Ausflug in die Physik zeigt. Unser Auge nimmt Schwarz wahr, wenn eine Fläche extrem wenig Licht zurückwirft. Das heißt, dass die Netzhaut des Auges keine Lichtwellen mehr im sichtbaren Spektrum empfängt. Was das auf die Spitze getrieben bedeutet, zeigten britische Forscher. Sie haben eine lackähnliche Nano-Technik entwickelt, die damit bestrichene Gegenstände wie schwarze Löcher, und Fotos davon wie billige Montagen aussehen lässt. Praktisch alles Licht wird geschluckt, selbst Laserstrahlen verschwinden. Schwärzer geht es nicht. Es wirkt dunkler als Vantablack, das bisher als das finsterste Schwarz galt. Und das hat nachweislich bereits 99,965 Prozent des auftreffenden Lichts absorbiert – inklusive Ultraviolett- und Infrarotstrahlung.

Doch auch bei der Entwicklung hochwertiger Lacke zählen die kleinen, aber feinen Unterschiede. Je nach Oberflächenstruktur wird auch das wenige reflektierte Licht „verfälscht“. Deshalb ist beim Vermessen schwarzer Farbtöne die Wahl der Messgeometrie entscheidend. „Schwarz manuell zu tönen verlangt viel Erfahrung“, fügt Tragor hinzu. Je feiner das Pigment, desto stärker der Blaustich. Je gröber, desto gelber wirkt das Schwarz. Das Fingerspitzengefühl entscheidet. Ebenso bei der Helligkeit. Aber Vorsicht. Bei zu viel Weiß springt die Wahrnehmung hier sehr schnell um auf Grau.

Einschichtlösung ist die Königsdisziplin 

Der Laie sieht solche Nuancen erst im direkten Vergleich. Aber wer stellt schon Autos in mehreren Schwarztönen nebeneinander? Einfacher geht es anhand von Farbtontafeln: hochglänzend, glänzend, seidenglänzend, seidenmatt, stumpfmatt. Zu fast allen Lacksystemen und Einsatzzwecken hat Wörwag das passende Schwarz parat: Pulverlack, UV-Lack für den Innenraum, Lacksysteme aus einer bis drei Schichten. Einschichtdecklacke bilden dabei die Königsdisziplin. Mit dem Decklack R4220 hat Wörwag ein Hochglanzschwarz entwickelt, das sich auf vielen Substraten auch einschichtig auftragen lässt.

Als hochglänzend gilt ein Lack, der mehr als achtzig Glanzeinheiten aufweist. Bei R4220 sind es fast neunzig. Das heißt, der Betrachter kann sich problemlos in der Oberfläche spiegeln. Knackpunkt aus Entwicklungssicht: je mehr Glanz, desto gerichteter muss das Licht reflektiert werden. „Hinzu kommt, dass der Untergrund passen muss“, ergänzt Baumgärtel. „Glanzgrad und Erscheinungsbild hängen auch von der Oberfläche des Werkstücks und ihrer Vorbehandlung ab.“ R4220 ist zudem äußerst verpackungs-, wetter- und kratzfest. „Der Kniff ist die Wahl des Bindemittels“, verrät die Laborleiterin.

Zum Einsatz kommt R4220 unter anderem auf dem ab 2020 ausgelieferten VW ID.3. Dessen Dach sollte ursprünglich mit schwarzem Basislack und Klarlack beschichtet werden. Dann entschied man sich für R4220 als Einschichtdecklack. Dadurch spare Volkswagen nicht nur einen Arbeitsgang, so Baumgärtel, sondern auch eine Lackierkabine und einen Trockner.

Vom Markt ins Museum 

Mit der Entwicklung des Lacksystems ist es aber nicht getan. Speziell bei schwarzen Farbtönen kommt es nicht nur auf die sorgfältige Produktion an. Auch wie der Kunde den Lack anwendet, ist entscheidend für die Qualität. „Sauberkeit und Gewissenhaftigkeit sind beim Lackieren ebenso wichtig wie in der Herstellung“, bestätigt Klein. „Man sieht jeden Fehler.“

2018 war jeder vierte Neuwagen schwarz. Und das nahezu weltweit. Im Innenraum ist es noch deutlicher. Achtzig Prozent aller Interieurs sind schwarz. Neben Softhaptik ist auch hier zunehmend Hochglanz gefragt. Zum Beispiel schwarzer UV-Klavierlack. Schön anzusehen, in der Produktion allerdings heikel. Klein erinnert sich, wie das Lasern von Kunststoffteilen für beleuchtete Bedienelemente Probleme bereitete. Die dabei abfallenden Partikel setzten sich auf dem Basislack fest. „Erst die Reinigung mit CO2 nach dem Lasern löste das Problem.“

Wörwag erfindet Schwarz nicht neu. Fast immer gibt es von den Kunden klare Vorgaben. Diesen Farbton stellt Fritz dann genau ein. Der Leiter der Abteilung Produktentwicklung Decklacke entwickelt mit seinem Team pro Jahr zwischen 300 und 400 neue Farbtöne. Meist handelt es sich um Unidecklacke, die ohne Klarlack auskommen. Nach dem Auftrag genügt forciertes Trocknen bei 80°C. Beschichtet werden damit beispielsweise Anbauteile aus Kunststoff für Personenwagen, Nutzfahrzeuge, Land- und Baumaschinen, zudem für Fahrräder und Rasierer. Für Karosserien hingegen verwendet man 1K-Einbrenndecklacke. Diese härten bei 140°C aus. „Wir haben zehn Standardschwarztöne in der Schublade, die meisten davon matt, manche hochglänzend“, so Fritz. „Darauf bauen wir auf.“

Mehr als in den anderen Produktsparten spielt bei Pulverlack die Struktur der Beschichtung eine große Rolle. Tragor zieht vier schwarzlackierte Farbtafeln aus der Tasche und dreht sie in Richtung Fenster. Das Licht spiegelt sich auf jeder Tafel anders. So werden die Unterschiede ihrer Oberflächen sichtbar, von fast hochglänzend bis deutlich strukturiert. „Die sogenannte Hammerschlagoptik ist vor allem im Maschinenbau typisch für Pulver“, erzählt Tragor, „solche Unterschiede steuern wir über Additive. Sie strukturieren oder mattieren die Oberfläche.“ Zusätze wie Wachse oder Mineralien im Lackpulver verhindern ein allzu glattes Finish und bewirken so eine Streuung des Lichts. Eine sehr feine Struktur führt zu einer matt erscheinenden Oberfläche.

Apropos Schwarz: Mit seinem Schwarzen Quadrat schuf der russische Künstler Kasimir Malewitsch (1878–1935) mit dem Gemälde den Nullpunkt der Malerei. Ein schwarzes Quadrat, das praktisch alles vereint – Formen und Farben. Es ist eines der prägendsten Bilder des 20. Jahrhunderts. Und es wird mit Sicherheit genauso heiß diskutiert wie Schwarz in der Mode. Die Schwarzseher von Wörwag haben sicher auch dazu eine Meinung.

 

Der Artikel erschien erstmalig im Wörwag Kundenmagazin „finish“ im Jahr 2019.